erschienen in: "In der Werkstatt der Lektoren. 10 Gespräche.", Universitätsverlag Hildesheim, 2007.
Interview mit Ilka Heinemann, Droemer Knaur
von Stefan Mesch
Die Büros von Droemer-Knaur liegen in einem nüchternen Neubau im Norden Münchens. Es ist schwül und ein wenig dämmrig, im Foyer brennt Licht. Ilka Heinemann, 36, trägt ein fliederfarbenes Sommerkleid mit passender Weste. Sie führt mich in ihr Büro, bringt Teegebäck und Mineralwasser.
Während des Interviews steht sie immer wieder auf, zeigt mir die Zeitungsartikel und Bücher, von denen sie gerade spricht. Sie ist organisiert, aber nicht hektisch. Nachdenklich, aber nicht verstockt. Und als wir fertig sind, mein Diktaphon abgestellt ist, fängt sie an, mir Fragen zu stellen: über dieses Lektoren-Buchprojekt, über Hildesheim und den Mikrokosmos Schreibschule. Sie ist sehr neugierig, aber nicht aufdringlich. Draußen, vor den Fenstern, setzt ein Regen ein.
Wollten Sie schon immer im Literaturbetrieb arbeiten?
Nein. Ursprünglich wollte ich Journalistin werden. Ich bin in Köln aufgewachsen, und im Freundeskreis meiner Eltern waren viele russische Dissidenten. Der ganze WDR ging bei uns ein und aus: Korrespondenten, Reporter – und deshalb war mir klar: ich will Auslandskorrespondentin werden. Mir kam das wie ein ganz gewöhnlicher Berufswunsch vor. Also habe ich osteuropäische Geschichte, Slawistik und Literatur studiert, in Köln und London. Dann habe ich ein Praktikum im ARD-Studio in Moskau gemacht. Und ab dem Moment war klar, dass ich umsatteln muss.
Was war los?
Einerseits hatte ich es mir spannender vorgestellt: lange Zeit passiert einfach gar nichts, man muss doch sehr nach den Geschichten suchen. Und dann – das war 1991 – kam der Putsch, und wir waren Tag und Nacht unterwegs. Das war wahnsinnig spannend, aber natürlich überlegt man: „Was, wenn ich später doch mal Familie habe? Kinder? Wie lässt sich das vereinbaren, wenn ich an Krisenherden sitze, kaum noch zum Schlafen komme?“
Also haben Sie gewechselt?
...zu meiner zweiten großen Liebe, den Büchern. Man sagte mir sofort: Lektorin, das ist Quatsch, da gibt es kaum Stellen. Also dachte ich: „Ja, aber dann möchte ich wenigstens irgendwie in den Verlag“, und habe verschiedene allgemeine Verlagspraktika gemacht. Nebenher habe ich weiter studiert, und für ein regionales Magazin Bücher rezensiert. Und dann meldete sich der Berlin Verlag. Im Lektorat war nichts frei, aber in der Presseabteilung. Und ich sah dann diese sehr, sehr seriösen Lektoren, die die ganze Zeit in ihren Büros saßen. Man traf sie einmal am Tag, auf dem Weg zur Teeküche, und dann gingen sie zurück und saßen wieder an ihrem Schreibtisch. Und ich dachte: „Lektorat? Nein! Presseabteilung ist viel aufregender, ich möchte in die Presseabteilung!“ Also habe ich dort ein Volontariat gemacht, und der Geschäftsführer empfiehl mich dann weiter an drei Verlage in München.
In die Presseabteilung, jeweils?
Das war der Plan. Aber dann bin ich an Christian Strasser geraten, der damals das Verlagshaus Goethestraße hatte (das dann hinterher zu Ullstein-Heyne-List zusammengewachsen ist). Er meinte: „Wir haben gerade keine Stelle. Aber wir könnten eine für Sie schaffen – das wäre dann allerdrings im Lektorat.“ Gut. Herrlich. Wunderbar – ich wurde also Lektoratsassistentin. Und ein Jahr später war ich dann plötzlich Lektorin. Und sehr froh damit: ich hatte nicht geglaubt, dass das klappen könnte.
Wann kamen Sie zu Knaur?
Vor zwei Jahren wurde mein alter Verlag verkauft und zog nach Berlin um. Aber die Stadt zu wechseln, das war keine Option für mich. Mein Freund ist Kurator, hier in München, und wir haben sehr lange Zeit pendeln müssen. Bei Droemer sind wir vier Lektoren. Zwei davon sind ganz klar Sachbuch, einer macht Belletristik, und ich betreue beides. Im Moment auch sehr viele Memoirs, Titel wie „Feuerherz“, „Dschungelkind“ – Knaur ist seit Waris Diries „Wüstenblume“ Markführer im Bereich Frauenschicksale. Und was die Sprachen angeht... natürlich lesen alle Lektoren hier Englisch und Deutsch. Ich schaue außerdem noch nach Holland, Frankreich und Russland, und auch ein wenig nach Israel. Aber das meiste hängt von den Kontakten ab, die man hat: man bietet mir Manuskripte an, empfiehlt mir ausländische Titel, und wenn ich sie akquiriere, betreue ich sie auch. Es sei denn, es ginge jetzt zum Beispiel um ein sehr politisches Sachbuch – das würde natürlich weiter an den Kollegen geben, der Experte auf dem Gebiet ist.
Ratgeber fallen nicht in Ihren Aufgabenbereich?
Nein, das ist Knaur. Ich arbeite bei Droemer. Dasselbe gilt für Taschenbücher: es gibt noch mal vier Lektoren, bei Knaur, die das Paperback betreuen. Ich mache nur Hardcover, und betreue diese Titel dann noch einmal, wenn sie ins Taschenbuch gehen. Aber ich kaufe nicht auch noch Taschenbuchrechte von anderen Verlagen ein. Das machen die Kollegen.
Was sind die großen Zugpferde des Verlags, neben den Memoirs?
Historische Romane, oder große Autobiografien, Heiner Lauterbach zum Beispiel. Und dann auch immer wieder Beiträge zu politischen Debatten, wie Albrecht Müllers „Die Reformlüge“, oder „Machtwahn“. Im belletristischen Bereich sind es entweder Kriminalromane oder Thriller: Val McDermid, P.D. James... und für Literatur-Literatur gibt es „Droemer Profile“.
Gibt es auch Titel, die sie gern akquiriert hätten, die aber einfach nicht ins Profil passen?
Sicher. Das ist ja bei allen Verlagen so: nach manchen Sachen würde man auch gar nicht erst suchen. Bei uns passt relativ viel ins Profil – aber stille, autobiografische Erzählungen zum Beispiel, die würden keinen Platz finden, auch bei „Droemer Profile“ nicht. Unsere Titel brauchen eine gut erzählte Geschichte.
Kommt es vor, dass Sie Projekte vor sich haben, mit denen Sie gar nichts anfangen können, im ersten Moment?
Wahnsinnig selten. Ich kann den meisten Sachen etwas abgewinnen, so lange sie gut gemacht sind als das, was sie sein wollen. Mir ist nicht viel fremd: Sachbuch oder Belletristik, kommerzielle Sachen oder literarische – ich bin sehr offen.
Was sind Ihre Lieblingsautoren? Die... zentralen Bildungserlebnisse?
Da bin ich, glaube ich, ziemlich stark durch mein Studium geprägt. Vor allem die Russen, die Russen des 19. Jahrhunderts, also Dostojewski, Tschechow, Gogol. In letzter Zeit habe ich „Rohstoff“ von Jörg Fauser gelesen, hat mir sehr gefallen, auch Kurt Vonnegut, und dann Leonid Zypkin, „Ein Sommer in Baden-Baden“, der Dostojewski-Roman. Ansonsten lese ich kreuz und quer: viele russische Autoren, viele Holländer, auch eher literarisch. Nur Genre lese ich privat eher nicht. Es gibt viele, die einen Krimi nach dem anderen verschlingen, aber wenn ich das mache, dann eher für den Verlag.
Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? Gerade zwischen Übersetzungen und deutschsprachigen Titeln stelle ich mir riesige Unterschiede vor.
Bei deutschen Titeln kann man natürlich noch viel mehr Einfluss nehmen, auch in den Details. Beim Sachbuch dagegen arbeitet man vor allem an der Struktur: wie ist der Aufbau des Buches, wo soll das hinführen, solche Fragen. Und bei fremdsprachigen Titeln hat man meist mehr mit dem Übersetzer zu tun als mit dem Autor. Ich lese dann die Originalversion, und gleiche das ab: „Hat er das, was da steht, wirklich in gutes Deutsch gebracht?“. Allerdings habe ich schon den Eindruck, dass hier, in Deutschland, penibler redigiert wird als in anderen Ländern – genauer als in England und Amerika auf jeden Fall. Es kommt oft vor, dass ich noch sachliche Fehler finde, oder noch generelle Fragen habe, und da halte ich dann auch auf jeden Fall noch mal direkt mit dem Autor Rücksprache.
Was die Übersetzungen angeht: gibt es Dinge, die Sie verpasst haben, und die dann anderswo aufgetaucht sind?
Ich ärgere mich bis heute, dass ich bei Audrey Niffeneggers „Die Frau des Zeitreisenden“ lockergelassen habe. In der ersten Version fand ich das Manuskript wahnsinnig gut, aber es war viel, viel zu lang. Keiner hat ein Angebot gemacht, und als dann die zweite Version kam, habe ich es nicht mehr gelesen, sondern einer Kollegin gegeben, die es nicht mochte. Also haben wir nicht mitgeboten, und das habe ich sehr bereut.
Ich fand den Roman schrecklich.
Verstehe ich auch. Aber ich habe mich geärgert, weil ich damals dachte: das ist ein unwahrscheinlicher Kandidat, etwas sehr ungewöhnliches. Man liest natürlich auch sehr viel das Gleiche, aber Niffenegger war anders. Die Version war zu lang – aber ich habe sie gemocht.
Ist die deutsche Fassung gekürzt, oder haben Sie eine Rohfassung gelesen, vor Drucklegung?
Exposés oder Manuskripte kursieren oft, bevor das Buch überhaupt erschienen ist. In Amerika werden viele Titel meist schon auf Manuskriptbasis ins Ausland verkauft. Wenn mir ein Buch geschickt wird, das bereits erschienen ist, entsteht sogar ein bisschen der Verdacht, dass es ein Fehlschlag ist, weil sich das Manuskript nicht verkaufen ließ: man hat das Gefühl, einem würden da sozusagen saure Zitronen angeboten. Man kuckt natürlich trotzdem rein, aber man sortiert das sofort als nicht-ganz-so-wichtig weg.
Es kann also auch passieren, dass Titel als Übersetzung erscheinen, bevor das Original verkauft wurde?
Nicht oft. Das ist eher ungünstig, weil man ja immer hofft, dass in der Originalsprache noch ein Lektor drüberkuckt. Deshalb wartet man meist, bis es verkauft ist. Aber ich habe das auch schon gemacht: Richard Harrison zum Beispiel war bei einem englischen Verlag, aber er hatte den Eindruck, dass ich wesentlich enger mit ihm arbeite, also habe ich mit ihm ein richtiges Lektorat gemacht. Natürlich nicht sprachlich, aber die Handlung haben wir zusammen bearbeitet. Und das gibt es öfters. Ich glaube, dass englischsprachige Autoren merken, dass es in Deutschland Lektoren gibt, die mehr Zeit und Energie investieren, akribischer arbeiten. Deshalb passiert das. Es ist nicht weitverbreitet, aber es kommt vor.
Seltsam. Hat das historische Gründe?
Ich glaube, in England und den USA werden Lektoren mehr und mehr zu Projektmanagern. Sie stehen unter dem Druck, sich mehr um die Auflagen zu kümmern, als richtig intensiv mit dem Autor zu arbeiten. Nicht alle, natürlich – es gibt viele, viele Ausnahmen. Aber ein kleinteiliges Lektorat ist nicht mehr die Regel. Und wenn dann ein Autor merkt, dass es in Deutschland wirklich profundes Feedback gibt, ist er natürlich dankbar dafür, und fordert es auch ein.
Was waren Ihre großen Lieblingsprojekte bisher?
(lacht) Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen!
Ich will damit nicht die anderen Titel schmälern. Aber es gibt doch sicher Bücher, die außergewöhnlich waren, und bei denen Sie sagten: „Das ist eine Erfahrung!“.
Spannend waren die Erinnerungen von Traudl Junge, Hitlers letzter Sekretärin, das war damals noch beim Claasen-Verlag [den Christian Strasser 1998 aufkaufte und nach München verlegte]. „Lieblingsprojekt“ könnte ich das nicht nennen, aber es war insofern ein bedeutsames Projekt, als dass es auch zeitgeschichtlich sehr aufregend war, und, weil man die komplette Entwicklung miterlebte: vom Stadium, als es das Buch noch gar nicht gab, bis zu dem Punkt, als es Nummer-Eins-Bestseller wurde. Aber natürlich gibt es, inhaltlich betrachtet, Bücher, die ich ebenso sehr mochte.
Gibt es einen bestimmten Typ Mensch, mit dem Sie gerne zusammenarbeiten? Oder auch berühmte Tote, die Sie gerne lektoriert hätten?
Ich habe eine gewisse Tendenz dazu, unprätentiöse Autoren den prätentiösen Autoren vorzuziehen. Also, richtig intelligente Autoren sind großartig, aber wenn sie dann noch umgänglich sind, ist es das reinste Vergnügen – tot oder nicht. Nicht tot ist besser (lacht). Aber ich mag einfach ziemlich vieles ziemlich gerne, das kommt immer aufs konkrete Buch an. Es ist jedes Mal eine Art Sich-Verlieben in ein Projekt, und das kann dann ein historischer Roman sein, oder ein eher schräges Projekt, aber auch etwas sehr Seriöses, ein Sachbuch über den Holocaust zum Beispiel. Wie gesagt: ich habe keine generellen Vorlieben. Aber wenn ich ein Buch mache, dann ist das immer fast wie eine Liebesbeziehung. Die ist dann da, ja.
Und Titel, bei denen man sich sagen muss: „Das mache ich jetzt einfach.“?
Es ist klar, dass man manche Bücher eher aus professionelleren Überlegungen heraus macht, nicht aus lauter Leidenschaft. Titel, bei denen man weiß: das trifft den Nerv der Zeit, wird wirklich viele Leser finden. Vielleicht ist es dann zwar nicht unbedingt mein Thema, sondern ein Thema der Zeit, aber dann mache ich das. So richtig saure Äpfel aber, das würde ich dann auch nicht machen. Jedes Buch, das wir machen, haben wir nicht ohne Grund im Programm – da ist schon an jedem einzelnen auch was dran.
Gibt es Projekte, die sehr viel Arbeit erfordern – und andere, die eher Selbstläufer sind?
Mit Debütanten hat man mehr Arbeit als mit routinierten Autoren: es geht viel stärker noch um den Aufbau, die Struktur – aber das macht auch besonders viel Spaß. Man verliebt sich da eben hinein: in das Buch, oder in das Thema, oder in den Autor. Gerade bei Erstautoren ist das auch sehr viel Arbeit. Während beim zweiten – oder zehnten – Buch alles Hand in Hand geht, und relativ einfach ist. Autoren wie Karin Köster-Lösche, die schon sehr viel geschrieben hat, sind da viel versierter.
Haben Sie feste Autoren, mit denen Sie regelmäßig zusammenarbeiten?
Ja: Karin Köster-Lösche eben, die historische Romane schreibt. Und Petra Reski, eine Journalistin. Beide waren vorher beim List-Verlag, und nachdem Frau Jannsen, die Verlagsleiterin, gewechselt hat, sind sie mitgekommen. Hilke Lorenz auch: die hat bei List ein Buch namens „Kriegskinder“ geschrieben, ein großer Erfolg, hat sich 30.000 Mal verkauft. Das war ein Buch über die Generation der Kriegskinder – unsere Eltern, mehr oder weniger –, und das Fortsetzungsbuch, „Weiterleben, als sei nichts gewesen?“, das haben wir dann bei Knaur publiziert. Man entwickelt eine ziemliche Bindung an die Autoren. Also kann das schon passieren: dass sie, wenn man den Verlag wechselt, mitkommen möchten.
Also sind Sie mit einigen Ihrer Autoren mittlerweile auch privat befreundet?
Meist – also, in ganz vielen Fällen, eigentlich – entwickelt sich das zu einer Freundschaft, ja.
Was für ein Lesevolumen bewältigen Sie ungefähr in der Woche?
Das ist schwer zu sagen. Ich prüfe in der Regel etwa zehn, zwanzig Manuskripte. Aber die Seitenzahl lässt sich schwer bestimmen: wenn der Text schlecht ist, dann lese ich ihn natürlich nicht ganz. Und wenn ich mal eine Woche habe, wo die Manuskripte alle wahnsinnig gut sind, aber 500, 800 Seiten haben, lese ich vielleicht nur drei. Das Riesenpensum an verschiedenen Manuskripten hat man also eher dann, wenn doch recht schnell klar ist: das möchte ich eher nicht machen.
Was ist mit dem „slush pile“? Ist der relevant?
Bei uns werden unverlangt eingesandte Manuskripte von Praktikanten gelesen, und von einer Sekretärin, die auch mal Sachen für mich aussortiert. Es kommen sehr viele Memoirs bei uns an, Lebensschicksale, und sie liest das dann auch durch, und nimmt es sehr ernst. Entsprechend habe auch ich oft damit zu tun. Aber gefunden haben wir bislang noch nichts. Hier im Haus wurden zwar schon Bücher aus solchen Zusendungen gemacht – aber das war vor meiner Zeit.
Lesen Sie hier, im Büro?
Ich bin von neun bis sechs im Büro, mindestens, meistens auch länger. Und dann gehe ich nach Hause und lese – hier drinnen lese ich am wenigsten. Auch das Redigieren mache ich daheim. Wenn allerdings klar ist: das kann ich nicht mehr Abends oder am Wochenende schaffen, dann bleibe ich auch mal einen Tag zu Hause, oder zwei, drei. Im Büro kümmere ich mich vor allem um Autorenbetreuung und Kommunikation: Texte schreiben, Akquise, Sitzungen. Ich kann hier kleinere Sachen durcharbeiten, oder Exposés anschauen. Aber Manuskripte lese ich daheim.
Haben Sie eine Methode, um schneller zu lesen?
Ich lese die ersten fünfzig Seiten sehr konzentriert, Zeile für Zeile, komplett. Und markiere dabei gleich die wichtigsten Stellen und Namen mit Textmarker, damit ich den Inhalt schnell wieder zusammenhabe. Sobald ich die Handlung begriffen habe – manchmal gibt es sehr komplexe Manuskripte, wo man nicht so schnell kapiert, wo das hinführen soll, aber meistens hat man’s nach fünfzig Seiten – dann lese ich quer. Außer, es ist extrem gut, dann will ich einfach auch alles lesen. Aber in den meisten Fällen denke ich: „Das ist nicht schlecht, aber es reicht nicht!“, und dann lese ich nur noch ein paar Sätze pro Seite, und den Schluss noch mal ausführlich. Wenn ich fertig bin, schreibe ich den Inhalt auf, und danach meine Einschätzung, als Gutachten. Mittlerweile geht das ziemlich schnell. Am Anfang – gerade bei Volontären – wird daran noch recht lange gebastelt, weil sie sich erst mal ihres Urteils klar werden müssen. Aber mittlerweile formuliert sich mein Urteil ganz automatisch, beim Lesen. Wenn ich das Manuskript zur Seite lege, ist die Einschätzung eigentlich schon fertig.
Wie notieren Sie beim Lesen?
Beim ersten Lesen habe ich immer nur so ein ganz vages Unterschwengeln an den Stellen, wo ich Unbehagen habe, da mache ich wenig. Und beim zweiten dann die ganz übliche Korrekturweise – auf Papier, alles. Aber was ich oft mache, ist, mit dem Autor in Dialog zu treten, wenn etwas nicht stimmig erscheint. Ich will nicht sofort sagen: „Das machen wir jetzt aber besser so!“, sondern schreibe ihm Fragen an den Rand. Und das hat sich auch bewährt, denn meist muss da nach einer gemeinsamen, dritten Lösung gesucht werden. Dann merken die Autoren auch: ich will ihnen nicht irgend etwas reindrücken, sondern sagen sich, „In der Tat, hier stimmt etwas noch nicht, da gehe ich selbst noch mal rein“.
Was ist mit Gutachtern von außerhalb, die sich zum Beispiel um historische Fakten kümmern?
Gibt es, ja. Aber ich betreue ja keine wissenschaftlichen Sachbücher, deshalb habe ich das sehr selten: die Titel, die ich mache, recherchiere ich selbst. Das ist ein großer Teil der Arbeit: in die Bibliothek gehen, im Internet recherchieren, immer auch zwei, drei Bücher um das Projekt drumherum ankucken – mal mehr, mal weniger.
Wie lange dauert ein Projekt?
Die Betreuung dauert ungefähr einen Monat. Man macht das Erstlektorat, dann kriegt der Autor den Text zurück, und man kümmert sich erst mal um andere Bücher, und später setzt man sich mit ihm zusammen und bespricht die Änderungen. Dann schreibt er es neu... letztendlich kann es auch mal zwei Monate dauern. Aber man macht ja mehrere Projekte gleichzeitig. Von der Lektüre des fertigen Manuskript bis zu Herstellung vergehen in der Regel etwa acht, zehn Wochen.
Wie oft geht ein Manuskript in dieser Zeit hin und her?
So oft es muss. Üblicherweise drei Mal, bei deutschen Autoren. Bei Übersetzungen normalerweise nur zweimal.
Gibt es Momente, an denen Sie dachten: „Was schreibt er denn da überhaupt, was soll denn das“? In denen Sie persönlich eine ganz, ganz andere Lösung favorisiert hätten?
Es gibt schon solche Momente, ja. Aber dann frage ich mich viel eher: „Was will der Autor an dieser Stelle?“ Und dann versuche ich, das nachzuvollziehen: warum schreibt er das, in dieser Reihenfolge, an dieser Stelle, und: wo will er damit hin? Und er hat sich ja etwas dabei gedacht. Sobald ich mir klar gemacht habe, worum es ihm geht, kann ich mir dann überlegen, was ich selbst getan hätte stattdessen, und, wie man zusammenkommen kann. Ich glaube, wenn man viel Rücksprache hält, einen guten Kontakt hat, dann kann man schon ziemlich viel zusammenarbeiten.
Aber es gibt auch Patt-Situationen, Momente, in denen Sie sagten: „Mach halt – ich finde es nicht gut!“?
Habe ich noch nicht erlebt, ehrlich gesagt. Ich glaube, ich habe Glück gehabt, und bisher immer mit Autoren gearbeitet, mit denen man sich einigen konnte. Also, im Guten.
Und entsprechend gab es auch nie Projekte, die mittendrin abgebrochen wurden, von Autorenseite aus?
So etwas gibt es natürlich, klar. Aber mir ist es noch nicht passiert.
Sprechen Sie mit anderen Leuten über die Arbeit? Wenn Sie sich an der Grenze zur Subjektivität bewegen, sich fragen: „Was tue ich da gerade mit einem fremden Text? Steht mir das überhaupt zu“?
Nein, ich löse das anders. Wenn ich einen Text redigiere, dann lese ich ihn zunächst zwei Mal. Das erste Lesen ist ein sehr zugetanes und positives, eine Art „verliebtes Lesen“, wo ich viel durchgehen lasse, sehr auf Seiten des Autors bin. Die Zweitlektüre ist dann sehr kritisch und professionell. Und erst beim dritten Mal versuche ich dann, zu unterscheiden: „Was davon ist mein Geschmack, aber eigentlich völlig in Ordnung – nur eben ganz anders, als ich es machen würde?“ Solche Anmerkungen streiche ich dann wieder.
Und dann gibt es den Termin, wo der Autor herkommt, und Sie arbeiten das Manuskript gemeinsam durch?
Ja. Es gab Fälle, da haben wir zwei Tage lang zusammengesessen, und man hätte eigentlich noch gut einen dritten Tag anhängen können, aber dafür fehlte die Zeit. Wenn man sehr genau arbeitet, kann das also durchaus eine Weile dauern. Aber ganz, ganz oft, gerade, wenn der Autor nicht in der Nähe wohnt, macht man das auch am Telefon, und dann dauert es in der Regel nicht so lange.
Wenn Sie selbst zu den Autoren fahren, wie weit kommen Sie dann herum? Waren Sie auch schon mal außerhalb Europas?
(lacht) Nein. Schade, ehrlich gesagt, aber nein. Oft kommen die Autoren einfach her, verbinden das mit einem Trip in den Verlag, und stellen sich auch mal in den anderen Abteilungen vor.
Wie oft haben sie mit Agenturen zu tun?
Täglich. Sie rufen an, weil sie irgend etwas anbieten, oder sie vertreten Autoren, von denen ich gerne etwas lesen würde.
Gibt es noch viele Autoren, die ohne Agentur arbeiten? Und ist es mit denen einfacher?
Viele meiner Autoren haben keinen Agenten, ja. Aber das liegt auch daran, dass wir schon über Jahre hinweg zusammenarbeiten. Sie wissen, dass sie vom Verlag fair behandelt werden, und, dass sie in mir einen Fürsprecher innerhalb des Hauses haben. Denn als Lektor ist man ja Fürsprecher für zwei Seiten: zum einen vertritt man den Verlag bei den Autoren, und zum anderen vertritt man die Autoren im Verlag, intern. Ich glaube, Autoren brauchen nur dann einen Agenten, wenn sie das Gefühl haben, ihre Interessen werden nicht gewahrt – dann würde ich auch jedem raten, sich unbedingt jemanden zu nehmen. Aber wenn ein Vertrauensverhältnis da ist, braucht man eigentlich keine Agentur.
Wer akquiriert die Titel fürs Programm?
Normalerweise liest man ein Projekt, und dann, wenn man begeistert ist, wirft man es in die Lektoratsrunde, spricht mit den Kollegen, und der Verlagsleitung. Dort wird beschlossen, ob wir ein Angebot machen wollen. Außer, es ist wahnsinnig eilig, und es muss über Nacht passieren: dann liest man das Projekt, spricht mit der Verlagsleitung, und macht gleich ein Angebot. Auf Messen zum Beispiel fehlt oft die Zeit für die große Runde.
Wie stark arbeitet man sonst mit den anderen Abteilungen zusammen?
Zu verschiedenen Zeiten arbeitet man mit allen Abteilungen zusammen. Und das sollte man auch sehr stark, denn es hilft immer, wenn man früh auf die Leute zugeht. Solche Gespräche müssen aber nicht immer auf formellem Wege stattfinden, das kann man auch mal beim Mittagessen bereden. Im besten Fall überträgt sich die Leidenschaft, die ich für ein Buch empfinde, auf die anderen Abteilungen. Am wichtigsten ist dann die Vertreterkonferenz: in dem Moment bin ich sehr konzentriert, ein Buch wirklich allen nahe zu bringen. Oft ist das der entscheidende Moment für den Erfolg eines Buches. Denn die Vertreter sind auch dabei, wenn es ums Cover geht, und schätzen ein, wie ein Buch gestaltet sein muss, damit es in den Buchläden gut ankommt.
Wie eng sind die finanziellen Vorgaben durch die Leitung?
Man würde sich etwas vormachen, wenn man sagt, die gäbe es nicht. Jeder Verlag will Geld verdienen, und deshalb muss ich mir auch bei jedem Buch, bei aller Leidenschaft, überlegen, ob das außer mir selbst noch jemanden interessiert. Diese Überlegung gibt es jedes Mal, wenn man ein Buch macht. Und wenn man das Gefühl hat: „Das ist wunderbar, aber keiner wird es lesen“, dann wird man das auch nicht machen.
Gibt es besonders riskante Titel?
Ja. Es gibt immer wieder Entscheidungen, die sehr viel Geld betreffen. Da ist es dann extrem wichtig, dass sich auch die anderen Abteilungen auf das Projekt einlassen, alle am selben Strang ziehen. Wenn wir wissen: dieses Buch wird teuer, da müssen wir richtig viele von verkaufen, dann fragen wir natürlich auch die Presseabteilung nach dem Potential, und den Vertrieb. Bücher werden oft teuer durch den großen Namen des Autors. Und manchmal gibt es auch Themen, die sind plötzlich in der Luft, und alle wollen etwas dazu machen. Dann gibt es ein Wettbieten, und das treibt den Preis nach oben. Oft sind das aber auch künstliche Hypes. Auf Messen zum Beispiel, wo man vermutet: das ist jetzt das heiße Buch, das gerade zirkuliert. Man hört davon, das geht sehr schnell. Und dann werden alle nervös. Nur gibt es eben keine Garantie, dass solche Geheimtipps dann auch zum Verkaufserfolg werden.
Haben Sie Scouts?
In Amerika und England, ja. Aber vor allem ist man als Lektor immer auch mit vielen Kollegen aus anderen Ländern befreundet, bei Verlagen, die ein ähnliches Programm haben. Und wenn dann einer etwas hört, gibt er dem anderen Bescheid: „Das Manuskript könnte was für dich sein, kuck da mal rein!“.
Und die deutschen Kollegen? Oder steht man dann doch zu sehr „auf der anderen Seite“?
Nein, ich bin mit vielen befreundet, aber... da redet man dann meistens nicht... also... über Bücher (lacht). Also, auf keinen Fall über Bücher, die man gerade prüft, und auch selten – wenn man sehr gut befreundet ist nur – über Projekte, die man gerade betreut. Das ist einfach eine andere Art von Freundschaft. Keine, wo man sich gegenseitig Sachen zuspielt.
Sie lesen auch Literaturzeitschriften?
Ja. Natürlich lese ich sehr ausführlich die Feuilletons, vor allem „SZ“, „FAZ“, „FAS“; dann den „Spiegel“, und alles andere sporadisch. Aber das liegt auch daran, dass bei Droemer Literatur-Literatur keine so furchtbar große Rolle spielt. Was aktuell ist, kriegt man auf diesem Weg jedenfalls mit. Generell aber arbeitet man eigentlich immer unter Zeitnot: ich denke immer, dass ich noch viel mehr machen, mich viel breiter umkucken könnte. Wenn ich jetzt wirklich oft Magazine lesen würde, fände ich auch immer wieder neue Themen, für mögliche Projekte. Dafür hätte ich wahnsinnig gerne Zeit. Aber das bräuchte einen 48-Stunden-Tag.
Was ist Ihre Lieblingsphase, im Arbeitsprozess?
Ich mag alle gern – aber ich bin immer froh, wenn eine neue Phase kommt: die Akquise gefällt mir, weil ich dann unglaublich viele Manuskripte lesen kann – aber eben auch sehr viel Mist. Ein, zwei Titel hat man gefunden, aber vieles war auch einfach überhaupt nicht gut, und dann freut man sich darauf, einzelne Texte sehr intensiv bearbeiten zu können. Während der Zeit ist man dann allerdings ein wenig raus aus dem Verlagsgeschäft, also freut man sich, wenn man dann wieder richtig in den Betrieb einsteigen kann... und so geht das immer weiter. Eigentlich ist das alles... mag ich vor allem... ich mag die Abwechslung! (lacht)
Gab es wilde Sachen, von denen Sie sagen: „Das war meins, das habe ich hier durchgeboxt!“?
Es gibt einen Titel, der erst noch erscheinen wird, Eva Rice: „The lost art of keeping secrets“, darauf freue ich mich sehr. Eine Art Enid Blython für Erwachsene – aber keine Genreliteratur. Ich war in England, habe mit einer Agentin zu Mittag gegessen, und da meinte sie: „Ich hab da was ganz Schönes, hast du nicht Lust, das zu lesen?“. Das war Freitag, und am Wochenende bin ich weiter nach Oxford, habe das Buch durchgelesen und dann gleich ein Angebot gemacht. Die Autorin war damals noch unbekannt, ich habe das Manuskript kaufen können, bevor es verlegt war, für einen relativ überschaubaren Vertrag. Später wurde es zusammen mit einem anderen Titel als Paket nach Amerika verkauft, für eine halbe Million Dollar, daraufhin erschien mein Preis geradezu als Schnäppchen. Am Anfang herrschte hier im Verlag eine ziemliche Skepsis. Aber als das Manuskript ankam, gab ich es gleich den Leuten vom Vertrieb, und sie waren begeistert. Mal sehen, was draus wird – ich bin gerade sehr zuversichtlich. In England hat es sich mittlerweile 200.000 mal verkauft. So schief kann es also nicht laufen!
Geraten Sie nicht auch mal in Debatten über Ihre Urteile? Dass man Ihnen sagt: „Na ja, das Buch ist doch eigentlich viel besser, als Sie denken!“ – oder umgekehrt? Wie kann man sich seiner Objektivität sicher genug sein, um diesen Job zu machen?
Sagen wir mal so: eigentlich gibt es keine Objektivität. Man ist ja immer man selbst, wenn man das liest, und hat dann seine Leidenschaft, oder eben nicht. Und ich glaube, es ist ohnehin schwierig, ein Buch zu vertreten, wenn diese Leidenschaft fehlt. Aber gleichzeitig gibt es objektive Kriterien: dass ein Thema gerade einfach funktioniert, oder ein Genre – diese Maßstäbe kann man ja anlegen. Und man sieht ja auch, ob ein Autor schreiben kann. Wobei ich dann auch keine Leidenschaft entwickeln kann, wenn er es nicht kann. Ein großer Teil, das stimmt, ist Geschmackssache. Aber ich würde zum Beispiel kein Manuskript anpreisen, das offensichtliche Schwächen hat, nur, weil ich das Thema gut finde – die Geschichte muss stimmig sein.
Sie haben mir im Vorfeld einige repräsentative Bücher geschickt: „Der Italiener an meiner Seite“, „Vom Verbrechen, eine Frau zu sein“, „Eine Rose für Onkel Ying“. Am spannendsten fand ich den Auszug aus Ingo Petz’ Reisereportage „Kuckucksuhren in Baku – Reise in ein Land, das es wirklich gibt“: ein sehr rotziges, schnelles Buch über Aserbaidschan. Wie sind Sie auf Petz gestoßen?
Im November 2004 hat er einen Artikel in der SZ veröffentlicht: „Baku, oder: hier ticken die Kuckucksuhren anders.“ Und ich dachte: „Das kann doch nicht sein, hier geht es um die Spuren deutscher Siedler in Aserbaidschan, eine ganze Seite lang, im Feuilleton – was ist das denn?“ Aber der Artikel war unglaublich gut. Und sehr skurril. Es war Donnerstag, also trug ich es in die Lektorenrunde, und sagte: „Das ist ein komisches Ding, aber ich wollte mal vorfühlen: könnten wir uns ein Buch vorstellen, über jemandem, der in einem Land, das man kaum kennt, auf deutsche Kultur stößt?“ Die Kollegen waren begeistert.
Also kam nicht Petz auf Sie zu, weil er ein Buch machen wollte, sondern umgekehrt?
Ja, das passiert manchmal. Auch das erste Buch von Hilke Lorenz, „Kriegskinder“, basierte auf einem Artkel, den sie veröffentlicht hatte. Unser damaliger Pressechef legte uns das hin und meinte: „Das ist doch vielleicht ein Thema.“ Man muss die Augen offen halten, und man muss Zeit dafür haben. Aber wenn man sich dann umschaut, findet man viele Dinge, die zu Buchprojekten wachsen könnten.
Wie ging es dann konkret weiter? Ist Petz noch einmal nach Aserbaidschan gereist?
Ich habe ihn kontaktiert, da war er tatsächlich noch dort. Später hat er dann ein Exposé vorgelegt, und wir haben uns früh zusammen überlegt, in welche Richtung ein längerer Text zu diesem Thema laufen könnte. Wir haben kontinuierlich ein paar Monate lang immer mal wieder darüber gesprochen. Und daraus ist dann das Buch geworden.
Gerade im Taschenbuch-Sektor scheint Knaur sehr gut dabei zu sein. Das gibt dann auch die nötige Sicherheit für solche Experimente?
Ja. Im Taschenbuch sind wir sehr stark im Moment, da haben wir wirklich eine gute Phase – bei vielen Taschenbuchverlagen läuft es nicht gut, gerade. Letztes Jahr sind wir auch zum Sachbuch-Verlag des Jahres gewählt worden. Wären wir in einer Krise, würden wir uns eher aufs Kerngeschäft konzentrieren. Entsprechend tun wir zwar das, was wir gut können, auch weiterhin. Aber gleichzeitig überlegt man immer: was könnte man darüber hinaus noch tun? Und Petz ist dafür ein gutes Beispiel.
Bleibt Ihnen noch Zeit für die private Lektüre?
Das mache ich unbedingt! Ich merke auch: wenn ich es nicht tue, bin ich nicht ausgeglichen, das ist ganz seltsam. Im Winter fahre ich mit der U-Bahn hierher, und dann habe ich immer eine halbe Stunde, in der ich privat lesen kann. Und das muss ich auch tun. Am allerliebsten Sachen, von denen ich weiß: das ist einfach wahnsinnig gut. Oder Titel, bei denen ich einfach mal kucken will, warum jetzt ausgerechnet das so erfolgreich ist.
Gibt es prominente Lektorenfiguren hier im Haus, auf die man sich immer wieder beruft?
Hier im Verlag ist natürlich Blessing die große Lektorenfigur – wobei ich ihn persönlich nie kennen gelernt habe. Er ging ja weg, um seinen eigenen Verlag zu gründen. Blessing war, glaube ich, wirklich auch so ein Autorenverleger, der viel für seine Autoren empfunden hat. Aber er war eben kein Lektor. Was Lektoren angeht, die mich persönlich geprägt haben, war das vor allem Elisabeth Ruge, vom Berlin Verlag. Auch, weil sie genau wie ich diesen Russland-Tick hat, Slawistik studiert hatte. Und natürlich, weil der Berlin Verlag eben mein erster Verlag war. Sie war sehr prägend. Mehr, als sie selbst weiß.
Was ist mit eher historischen Figuren?
Die sind nicht „prägend“, das ist eher so mit Interesse verbunden. Also: wie haben sie eigentlich damals gearbeitet? War es anderes? Vor allem, weil die meisten von ihnen ja auch selbst noch geschrieben haben, was ich sehr faszinierend finde. Ich wüsste gar nicht, wie ich das noch machen könnte, ehrlich gesagt.
Sie haben nie selbst geschrieben?
Na ja, ich habe Rezensionen verfasst, und natürlich auch mal mit dem Gedanken gespielt, zu schreiben. Aber bei mir ist das so, dass ich, sobald ich mein Projekt formuliert hatte, eine Art Exposé schrieb, das Interesse verlor. Ich musste die Idee niederschreiben, aber ausführen wollte ich sie danach nicht mehr. Weiter bin ich nie gekommen.
Und das war dann auch alles für Sie privat, sie haben nie etwas fortgeschickt?
Nein, nein, nein. Alles für mich privat, diese „Darüber müsste man mal einen Roman schreiben!“-Gedanken. Mehr ein Ideen-Sammeln. (lacht) Ich glaube, ich bin einfach kein Autor. Aber das hängt auch mit der Persönlichkeitsstruktur zusammen: Lektor wird man niemals, wenn man gern im Mittelpunkt stehen möchte. Man würde auch nicht glücklich in diesem Beruf. Sondern, weil man gerne anderen zur Seite steht, weil man helfen will, Dinge zur Vollendung zu bringen. Und gerade, wenn man in einem Publikumsverlag arbeitet, steht man eher im Hintergrund. Lektoren, die bei einem sehr literarischen Verlag sind, die sitzen dann oft noch in irgendwelchen Gremien, oder schreiben auch mal für Zeitungen. Aber ich glaube, die meisten Lektoren sind eher so gestrickt, dass das Streben danach gar nicht besonders groß ist.
Trotzdem: warum kann ich als Leser beim Blick ins Buch herausfinden, von welcher Agentur das Coverfoto kommt, aber nicht, wer das lektoriert hat?
Sie können das beim Dank herausfinden, da steht es manchmal drin, und da freue ich mich dann auch, wenn jemand anerkennt, was ich für das Buch getan habe. Aber ich glaube letztendlich, der Ethos ist ein anderer. Als Lektor würde man gar nicht darauf drängen, zu sagen: „Ich muss jetzt da drinnen meinen Namen sehen!“.
Okay – ich bin schon fast fertig. Abschließend würde ich gern noch über die Lehrbarkeit des Lektorenberufes sprechen.
Ich glaube, man kann vieles lernen: Bücher schnell lesen, Bücher einschätzen, solche Dinge. Aber manches muss einem auch schon in die Wiege gelegt sein: ein Gefühl für die Sprache zum Beispiel. Das hat man, oder nicht. Und wenn man es nicht hat, kann man sich zwar ein bisschen Werkzeug aneignen, aber das wird nicht genügen. Sicher: im konkreten Beruf kommt ganz viel auch mit den Jahren der Erfahrung. Man liest viel, sieht viel, und lernt, mit Texten umzugehen... so etwas entwickelt sich. Aber die Grundlagen müssen da sein. Für den konkreten Einstieg ist es gut, am Anfang jemanden zu haben, der einem ein wenig unterstützt. Deshalb versuche ich auch, den Volontären wirklich das Redigieren beizubringen: ich lasse sie Manuskripte lesen, und dann reden wir darüber, warum sie welche Dinge geändert haben, und wo typische Fehler sind. Das macht man zwei, drei Titel lang, und ab dann sind sie auf sich alleingestellt.
Das heißt, Sie würden bei einer Ausbildung zum Lektor den Schwerpunkt ganz klar auf die Entwicklung des Textverständnis’ legen?
Nicht nur: zunächst muss man verstehen, wie so ein Verlag überhaupt funktioniert. Sich ansehen, mit welchen Herstellern wir arbeiten, wie man Leute ins Boot bekommt, mit ihnen kommuniziert... deshalb sollte man im Verlag sein, um das zu lernen, und nicht außerhalb. Und dann sollte man halt wahnsinnig viel lesen!
Und welcher akademische Background ist wichtig?
Bei sehr literarischen Verlagen spielen solche Differenzierungen mit Sicherheit eine Rolle – ich denke, Suhrkamp würde anders auswählen als wir. Aber wir kucken vor allem darauf, dass unsere Volontäre verschiedene Sprachen sprechen, fließend – Englisch sowieso, und dann noch möglichst viele andere. Aber was sie letztendlich studiert haben... natürlich sieht man sich das an, aber es ist nicht das Allerwichtigste.
Ist der Andrang sehr groß?
Wahnsinnig groß. Viele im Studium wollen das gerne machen, Germanisten vor allem. Und dann gibt es wiederum so einen großen Irrtum von Quereinsteigern, die denken: „Ach, wenn ich kein Journalist werden kann, versuch ich’s mal als Lektor!“, oder „Ich bin Werbetexter, da kann ich ja auch Lektor sein!“. Ich glaube, es gibt viele, die sich da sehr irren.
Vielen Dank!
Interview: Stefan Mesch